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18.11.2016

Grundlegend und irreversibel

Warum die Digitalisierung den Menschen nicht ausschliesst

Ein Gespräch mit Andrea Belliger über die stete Verschmelzung von realer und digitaler Welt, Werte und Normen sowie die Chancen der Digitalisierung für das Gastgewerbe.

Andrea Belliger ist Prorektorin der Pädagogischen Hochschule Luzern, Co-Leiterin des Instituts für Kommunikation & Führung und Verwaltungsrätin in verschiedenen Schweizer KMU. Als Expertin im Bereich der digitalen Transformation berät sie Unternehmen in verschiedenen Branchen zu diesem Thema.

Wie verändert die Digitalisierung unsere Gesellschaft?

Andrea Belliger: Die Art, wie wir kommunizieren, die Welt wahrnehmen und Geschäfte machen, verändert sich gerade grundlegend und irreversibel. Möglicherweise mit ähnlich fundamentalen gesellschaftlichen Folgen wie bei der 68er-Bewegung. Dabei hat digitale Transformation im Kern gar nicht nur mit Technologie zu tun.

Damit meinen Sie?

Digitale Transformation basiert im Kern auf einer Reihe von "neuen" Werten: der Forderung nach offener Kommunikation, Transparenz, Partizipation, nach Empathie und Authentizität. An diesen Werten werden heute alle unsere Produkte, Dienstleistungen und Kommunikationen gemessen – nicht zuletzt auch im gastgewerblichen Bereich.

In letzter Zeit kann man immer mehr eine Verschmelzung von digitaler und realer Welt feststellen. Inwiefern wird diese Verschmelzung noch zunehmen?

Zu Beginn des Internetzeitalters in den 90er-Jahren herrschte die Meinung vor, dass es zwei klar getrennten Welten gibt: die Realität, in der man sich gab, wie man es musste, und eine virtuelle Welt, in der man unerkannt und anonym ein völlig anderes Selbst ausleben konnte. Das sieht man heute nicht mehr so. Reale und virtuelle Welt verschmelzen zunehmend, sie sind lediglich zwei Kanäle für die gleiche Kommunikation, zu den meist deckungsgleichen Freunden sowie Kunden. Unternehmen müssen sich heute souverän in beiden Welten bewegen können.

Die Verschmelzung der Welten ist somit etwas Bleibendes?

Ja, und sie wird sogar noch weiter gehen bis in unsere Körper hinein. Diese werden bereits heute mit technischen Elementen gekoppelt, mit gedruckten Organen, Sensoren und Chipkarten erweitert. Man spricht hier von Biohacking.

Da ist die Frage: Wann übernimmt die Maschine den Menschen?

Oder vielleicht eher: Wie funktionieren Mensch und Maschine zusammen oder was bedeutet überhaupt Menschsein in einer Welt, die wir uns mit klugen Geräten, Drohnen, Robotern und selbstfahrenden Autos teilen. Die philosophische Richtung des Transhumanismus beschäftigt sich mit solchen Fragen.

Zurück zum Gastgewerbe: Was bedeutet die gesamte Digitalisierung nun konkret für die Branche?

Das Gastgewerbe ist eine Branche, die schon relativ früh von dieser Thematik betroffen war und zu spüren bekam, wie die Digitalisierung Geschäftsmodelle verändern kann – wenn ich beispielsweise an Online-Bewertungs- oder Buchungsportale denke. Heute ist es normal, den Platz im Restaurant oder das Bett im Hotel per App zu reservieren, Essen und Getränke über die digitale Karte auszuwählen und nach dem Essen oder Hotelaufenthalt per Mobiltelefon zu bezahlen. Verstärkt spürbar sind heute aber neben der Digitalisierung von Prozessen die Forderungen von Kundenseite nach offener Kommunikation, Transparenz und Authentizität.

Wie ist der Status quo im Gastgewerbe betreffend Digitalisierung?

Die meisten Betriebe unterhalten eine Website, die Mehrheit mit Verknüpfungen zu Social-Media-Profilen, digitale Unternehmensprozesse etablieren sich zunehmend. Und es gibt auch Vorreiter mit coolen Ansätzen: Das Restaurant Hiltl oder der Kurdirektor von Arosa-Lenzerheide beispielsweise kommunizieren auf ganz unterschiedlichen Kanälen offen und authentisch mit ihren Kunden.

Dennoch tun sich einige Unternehmen schwer. Flächendeckend gibt es noch einiges zu tun, auch wenn das Bewusstsein durchaus da ist und man auch gerne digital unterwegs sein möchte. Die zentralen Hürden für das Nichtnutzen digitaler Kanäle sind fehlende Zeit, fehlendes Know-how, Datenschutzbedenken, Kosten und fehlende Investitionssicherheit. Dabei wären gerade die sozialen Medien prädestiniert für KMU. Denn die Gäste suchen heute vermehrt das Lokale, das Persönliche, nicht die Massenware.

Durch die Digitalisierung sind Mitbewerber wie Airbnb massiv gewachsen. Was können wir von ihnen lernen?

Zwei Dinge stehen hier im Vordergrund: die Digitalisierung der Standardprozesse wie Reservierung und Zahlungsabwicklung einerseits bei gleichzeitiger Fokussierung auf persönliche Kommunikation und authentische Produkte andererseits.

Wie beurteilen sie das Aufkommen von 3-D-Druckern, Virtual-Reality-Brillen etc.?

Als sehr spannend. 3-D-Druck ist eine interessante Technologie und wird sich in verschiedenen Bereichen noch stärker durchsetzen - auch im Gastgewerbe. Virtual-Reality-Brillen werden im Tourismus und Sport bereits eingesetzt. Das ist insofern interessant, als dass sie eine bisher unbekannte Erfahrungsebene ermöglichen, die irgendwo zwischen reiner Theorie und realem Erlebnis einzuordnen ist.

Was sind Chancen der Digitalisierung?

Die Profilierung innerhalb der Online-Universen, eine erhöhte Reichweite sowie Reputation. Wer nicht mitmacht, läuft Gefahr, den Anschluss an einen neuen Markt zu verlieren. Wer sich aber für einzelne Dienste entscheidet, sollte in jedem Fall genau rechnen, damit es sich lohnt. Denn möglichen Vorteilen wie Umsatzsteigerung durch neue Absatzmöglichkeiten und grössere Bekanntheit stehen auch Risiken gegenüber. Die Gefahr hoher Provisionen oder dass sich grosse Portale als Marke zwischen das Unternehmen und den Kunden schieben und man so ein Stück an Kontrolle und Kundenloyalität verliert.

Hinzu kommt auch die Gefahr eines Shitstorms?

Die Gefahr eines solchen erachte ich als gering. Natürlich gibt es immer Gäste, die nicht zufrieden sind und motzen. Aber mir wäre es lieber, sie motzen öffentlich und ich weiss davon, als dass sie es hinter meinem Rücken tun. Denn wenn ich es weiss, kann ich falls nötig einen Verbesserungsprozess einleiten.

Was wirklich zu bedenken ist: Durch die neuen Medien liegt die alleinige Informationshoheit nicht mehr bei der traditionellen Presse. Ich kann als einzelner Betrieb Vorurteilen entgegentreten, indem ich über Online-Kanäle offen kommuniziere, beispielsweise ein Foto aus der Küche poste und zeige, dass alles tiptop ist und die Eiswürfel professionell aufbewahrt werden. Die Gäste sind sich schon bewusst, dass die Welt nicht perfekt ist und Fehler passieren. Problematisch wird es immer dann, wenn man nicht offen kommuniziert und Dinge vertuscht werden.

Was kommt sonst noch auf uns zu?

Im Hotelbereich befinden sich mobile Hotel-Apps im Aufwind. Dass ich über die hoteleigene App als Gast meine Reservation sowie mein Check-in und -out managen, die Minibar vor der Ankunft konfigurieren, die Raumtemperatur übers Telefon regulieren, Musik vom eigenen Mobilgerät auf die Lautsprecher des Zimmers streamen kann, aktuelle Infos zu Events in der Nähe erhalte, und am Schluss mobil bezahlen kann, ist zugegebenermassen nett und bequem. Aber Kunden geht es heute um weit mehr als um technologische Gadgets. Die Digitalisierung verstärkt auch den Wunsch nach Kommunikation mit Menschen, nach lokalen Produkten und authentischen Angeboten.

Christine Bachmann / GastroJournal

Andrea Belliger, Prorektorin der Hochschule Luzern und Co-Leiterin des Instituts für Kommunikation und Führung: "Reale und virtuelle Welt verschmelzen zunehmend." Bild: GastroJournal


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