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07.10.2016

Ausser Thesen nichts gewesen

75 Jahre Tourismuswissenschaft in der Schweiz

Die Schweizer Tourismuswissenschaft kann heuer ihren 75. Geburtstag feiern – 1941 erreichte Tourismus an den Universitäten Bern und St. Gallen akademischen Rang.

Eines der ältesten schriftlichen Zeugnisse des Abendlandes kann durchaus als touristisches Werk gelesen werden: Die Illias, vom griechischen Dichter Homer vor rund 2700 Jahren verfasst, schildert herausragend die Reisen des Odysseus und erzählt von den Motiven, die zum Reisen bewegten – das Werk verbindet also sozusagen Reiseführer und Tourismuswissenschaft.

Das Kennenlernen fremder Länder, Sitten und Menschen gehörte damals freilich nicht zu den Motiven. Vielmehr ging es ums Erobern und Ausrauben, um die nackte Existenz und die schöne Helena. Die Entdeckung der Landschaft kam später, rund 1500 Jahre nach Homer: Im späten Mittelalter erschienen erste Schilderungen von Landschaften und auch erste Landschaftsbilder. Dies parallel zur Druckschrift und zur ebenfalls neuartigen perspektivischen Darstellung: Sie ermöglichte erstmals in der bekannten Menschheitsgeschichte eine Darstellung von Räumen und Tiefe und wurde namentlich von Leonardo da Vinci perfektioniert.

Nur wenig später folgten die ersten Reisen, die nicht kriegerischen oder wirtschaftlichen Zwecken dienten und darum als touristisch bezeichnet werden können: Junge, adelige Briten machten sich, begleitet von Tutoren und Bediensteten, ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auf zur "Grand Tour". Das war keine motorisierte Reise über Schweizer Land- und Passstrassen, sondern ein meist mehrjähriges Abhaken kultureller Juwelen rund ums Mittelmeer, ein Pflegen familiärer Bande und ein Abenteuer à la Casanova.

Die "Grand Tour" wurde denn auch rasch populär und zuerst vom ganzen europäischen Adel und später von wohlhabenden Bürgern aufgenommen. Diese Popularisierung hatte auch mit einer umfangreichen Literatur von Reiseberichten und -führern zu tun – und damit, dass die Bereisten das Potenzial erkannten und ihre Infrastrukturen anpassten.

Eine Höhe- und ein Wendepunkt dieser Epoche war das Unspunnenfest von 1805 in Interlaken: Der Anlass, getrieben von Berner Aristokraten, sollte Napoleon und den Kanton Berner Oberland vergessen machen. Er wurde, auch dank erster moderner Blätter, frühzeitig in ganz Europa bekanntgemacht und zog Scharen von hochwohlgeborenen Gästen an.

Nach den Unruhen und Revolutionen zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die auch eine Fortsetzung der Unspunnenfeste verhinderten, folgten die grossen Gründerjahre: Peter Ober in Interlaken, Alexandre Emery in Montreux, die Gebrüder Seiler in Zermatt, die Hoteliersfamilien Armleder, Badrutt, Gurtner, Gredig oder Hauser – etliche spielen bis auf den heutigen Tag tragende Rollen im Schweizer Tourismus.

Was wir heute unter Wissenschaft verstehen, also die systematische Untersuchung und Darlegung von Mess- und Nachvollziehbarem, verfestigte sich ebenfalls im 19. Jahrhundert – alte Universitäten wie Basel (1460), Lausanne (1537) oder Genf (1559) waren bis dahin weitgehend gefangen gewesen in den klassischen griechischen Künsten, der römischen Juristerei und der Theologie. Die Universität Zürich entstand 1833, Bern folgte 1834, Neuenburg 1838, Freiburg 1889, St. Gallen 1898 – und die eidgenössischen Hochschulen datieren von 1853 (Lausanne) und 1854 (Zürich).

Von Tourismus als Wissenschaft war da noch keine Rede: Es dürfte eine Gesetzmässigkeit sein, dass zuerst Nachfrage und dann Angebote entstehen, dass später Organisationen wie der Verkehrsverein Zentralschweiz (1880), GastroSuisse (1892) oder die Hotelfachschule Lausanne (1893) sowie korporatistische Dienstleistungen wie der erste Schweizer Hotelführer (1895) folgen – und schliesslich eine Wissenschaft daraus wird.

Es waren die Deutschen, die noch vor dem 1. Weltkrieg Tourismus als Wissenschaft etablierten. Doch weil massgebliche Wissenschaftler unter ihnen jüdischen Glaubens waren, verschwand die Disziplin vor dem 2. Weltkrieg wieder – und die Schweizer sprangen in die ¬Bresche: Zu Leitern der neu gegründeten tourismuswissenschaftlichen Institute berief 1941 die Universität Bern Kurt Krapf und die Universität St. Gallen Walter Hunziker.

Bereits ein Jahr später veröffentlichten die beiden Wissenschaftler das Standardwerk "Allgemeine Fremdenverkehrslehre" – "das erste und einzige gemeinsame touristische Grundlagenbuch von St. Gallen und Bern", wie Krapfs Berner Nachfolger Hansruedi Müller und Monika Bandi 2015 festhielten.

Auffällig war die unterschiedliche Ausrichtung der beiden Institute: Zwar unterstrich die gemeinsame Definition von Tourismus den gewissermassen philosophischen Grundton beider Institutionen (vgl. unten), und beide machten sich international einen Namen, der den guten Klang der gastgewerblichen Ausbildungen ergänzte. Aber während St. Gallen in den Anfängen Forschung und Lehre forcierte, orientierte sich Bern stärker an der Praxis, befasste sich laut Bandi und Müller "schwergewichtig mit den wirtschaftlichen und planerischen Zusammenhängen in den Kurorten".

Das änderte sich mit den Generationenwechseln: In den 1970er Jahren kreuzten sich die akademischen Wege und tourismuswissenschaftlichen Ausrichtungen von Claude Kaspar in St. Gallen und Jost Krippendorf in Bern.

Kaspar war auf internationaler Ebene gewissermassen der Inbegriff für die Techniken des Tourismus. Als "Mittler zwischen Wissenschaft und Praxis" bezeichnete ihn sein Nachfolger Thomas Bieger einmal, es gebe "wenige Gebiete in der Schweiz, in denen Claude Kaspar und seine damaligen Mitarbeiter nicht durch Leitbilder, Konzepte und andere Planungsgrundlagen die Entwicklung von Verkehr und Tourismus geprägt haben".

Jost Krippendorf seinerseits schuf sich ebenfalls einen internationalen Ruf – quasi als Philosoph des Tourismus. "Die Werke von Jost Krippendorf deckten auf, regten an und waren der Zeit weit voraus", resümierten Monika Bandi und Hansruedi Müller.

"Ausser Thesen nichts gewesen?" hat Krippendorf indes bei seinem Abschiedsvortrag 1991 gefragt – und hinzugefügt, "dass Hochschulprofessoren die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, unabhängig, kritisch und damit unpopulär zu sein". Insofern ist es folgerichtig, dass die Universitäten Bern und St. Gallen den Tourismus als Überbegriff getilgt haben: In St. Gallen liegt Tourismus im "Institut für Systemisches Management und Public Governance", in Bern im "Center for Regional Economic Development".

Gleichzeitig sind von Siders bis ¬Samedan und von Luzern bis Lugano eine Vielzahl von Schulen entstanden, die Tourismus lehren und forschen: Zwar setzen die rund 80 Tourismuswissenschaftler in der Schweiz samt den Instituten in Bern und St. Gallen noch wissenschaftliche Impulse. Aber vor allem bilden sie praxisorientiert all die Kader aus, die touristische Unternehmen und Organisationen in der Schweiz prägen. Dies frei nach dem Motto von Ueli Stückelberger, Direktor von Seilbahnen Schweiz und Verband öffentlicher Verkehr. Am Treffen der Schweizer Tourismusforschenden letzten Herbst in Bern stellte er klar: "Unsere Mitglieder interessiert das, wenn sie direkt betroffen sind, ansonsten weniger."

Peter Grunder / GastroJournal


Tourismusdefinitionen

"Fremdenverkehr ist der Inbegriff der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt Ortsfremder ergeben, sofern daraus keine dauernde Niederlassung entsteht und keine Erwerbstätigkeit verbunden ist."
Walter Hunziker und Kurt Krapf, um 1942

"Fremdenverkehr oder Tourismus ist die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher und dauernder Wohn- noch Arbeitsort ist."
Claude Kaspar, um 1975


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