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05.02.2013

Gleichwertigkeit einer ausländischen Ausbildung

Abklärungspflicht des Arbeitgebers

Arbeitgeber haben die Pflicht, sich über die Vorbildung eines zukünftigen Arbeitnehmers zu orientieren. Bei ausländischen Mitarbeitern ist dies mitunter nicht besonders einfach. Obwohl das Bundesamt für Berufsbildung von Gesetzes wegen die Entscheidungskompetenz über die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen hat, ist es in vielen Fällen keine echte Hilfe.

2002 trat eine slowakische Staatsangehörige eine Stelle als Serviceangestellte im Kanton Bern an, zu einem gemäss schriftlichem Urteil unbekannten Lohn. Dieser entsprach offenbar nicht ihren Vorstellungen, so dass sie in den Folgejahren immer wieder um Lohnerhöhungen bei ihrem Arbeitgeber nachsuchte, ohne jedoch auf die Mindestlöhne nach L-GAV Bezug zu nehmen.

Ob und in welchem Umfang ihr diese Lohnerhöhungen zugebilligt wurden, ist ebenfalls unbekannt. Offensichtlich war die Unzufriedenheit irgendwann so gross, dass sie 2009 das Arbeitsverhältnis beendete und eine neue Stelle antrat.

Ein Jahr später besorgte sich die Angestellte schliesslich eine Bescheinigung des Bundesamtes für Berufsbildung über die Gleichwertigkeit ihrer in der Slowakei absolvierten Ausbildung mit einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis als Restaurationsfachfrau. Schliesslich klagte sie mit dieser Bescheinigung vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland die Differenz zu den jeweiligen Mindestlöhnen nach L-GAV, welche allem Anschein nach unterschritten wurden. Das Regionalgericht in Biel sprach ihr einen grossen Teil der Summe zu und das Obergericht Bern schützte als zweite Instanz schlussendlich den Richterspruch.

Klar ist: die Mindestlöhne nach L-GAV sind grundsätzlich zwingend (Art. 322 OR i.V.m. Art. 10 L-GAV) und können im Rahmen des Günstigkeitsprinzip nur erhöht und nicht vertraglich verringert werden. Schon seit Jahrzehnten kennt der L-GAV für die Gastronomie eine Lohnstufe für gelernte Mitarbeiter (EFZ und EBA im gastgewerblichen Bereich). Diesen Abschlüssen gleichgestellt sind gleichwertige Ausbildungen aus dem Ausland.

Nach L-GAV-Praxis muss der Arbeitgeber beim Stellenantritt prüfen, in welche Lohnstufe der Mitarbeiter fällt. Die Arbeitnehmerin hat ihm dafür die notwendigen Unterlagen zur Einsicht zu geben. Es handelt sich um eine eigentliche Holschuld des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann nicht gutgläubig annehmen, dass ein Mitarbeiter über keine Ausbildung verfügt.

Genau in diesem Punkt gab es zwischen den Parteien erhebliche Differenzen. Die slowakische Arbeitnehmerin behauptete, dass sie ihr (slowakisches) Zeugnis mit an das Vorstellungsgespräch genommen habe. Die spätere Arbeitgeberin habe dieses jedoch nicht sehen wollen. Den Hinweis auf eine Ausbildung habe die Arbeitgeberin mit den Worten "ich glaube Ihnen schon" abgetan.

Die Arbeitgeberin sagte vor Gericht aus, dass ihr von Seiten der Bewerberin keine Diplome überreicht wurden und sie auch nicht mit Sicherheit sagen könne, ob die spätere Mitarbeiterin überhaupt welche dabei hatte. Allerdings habe sie auch gar keine verlangt, da in ihrem Betrieb sie das Personal nach dem persönlichen Eindruck und nicht nach Diplomen auswähle.

Das Gericht befand schliesslich, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass ein Bewerber seine Unterlagen mit zum Vorstellungsgespräch nehme (oder sie mit einer schriftlichen Bewerbung einreicht). Mit anderen Worten hat die Arbeitnehmerin so ihre Pflicht erfüllt, während dem die Arbeitgeberin ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist.

Somit bestätigte das Obergericht Bern die Pflicht des Arbeitgebers, sich über die Vorbildung eines zukünftigen Arbeitnehmers zu orientieren. Bei ausländischen Mitarbeitern kann dies mitunter nicht besonders einfach ein, da die Ausbildungssysteme nur schon in den europäischen Nachbarländern alles andere als homogen sind und vielfach nicht dem schweizerischen Berufsbildungssystem ähneln, welches klar(er) zwischen Berufslehre und akademischer Bildung unterscheidet. So können in vielen Ländern Berufsabschlüsse auch in viel stärker verschulten Ausbildungsgängen erworben werden.

Daneben ist das Bundesamt für Berufsbildung (BBT) in vielen Fällen keine echte Hilfe. Obwohl das Bundesamt von Gesetzes wegen die Entscheidungskompetenz über die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen in der Schweiz besitzt, existieren keine generellen Aussagen (zum Beispiel in Form von Listen) für die häufigsten Ausbildungen aus gewissen Ländern, für die die Personenfreizügigkeit gilt und aus denen traditionell viele Mitarbeiter im Gastgewerbe stammen.

Das Bundesamt behält sich vor, im Einzelfall sur dossier zu entscheiden. Störend dabei sind die Verfahrenskosten 500 Franken, welche vorgeschossen werden müssen. Zwar obliegt es gemäss dem L-GAV-Kommentar dem Arbeitnehmer, ein entsprechendes Gesuch zu stellen. Die Kostentragung wird jedoch in vielen Fällen nur schwer möglich sein.

Als einziges Hilfsmittel kann die Faustregel gelten, dass eine Ausbildung dann als gleichwertig anerkannt wird, wenn sie sich vom Inhalt und der Dauer nicht von einer Schweizer Berufslehre unterscheidet und überwiegend in einem Betrieb (mit Berufsschulunterricht) absolviert wurde.

Generell herrscht in diesem Bereich jedoch eine gewisse Rechtsunsicherheit. Das Gericht erkannte im Übrigen, dass es nicht rechtsmissbräuchlich sei, sich nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auf die Nichteinhaltung von Mindestlöhnen zu berufen, selbst wenn man während der Anstellungsdauer bei Lohnerhöhungsbegehren nie auf die Mindestlöhne hinwies.

Obergericht des Kantons Bern, Urteil vom 7. Januar 2011, JAR 2012 S. 415ff.
Quelle: Rechtsdienst GastroSuisse


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