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12.05.2016

Städtische Wohnviertel sind keine Kurgebiete

Zürcher Gericht negiert Richtlinien des Cercle Bruit

Das Baurekursgericht des Kantons Zürich stellt bei der Beurteilung einer Terrassenwirtschaft in Frage, ob die Lärmschutz-Richtwerte des Cercle Bruit praxistauglich sind. Der Fall bestätigt, was sich schon länger abzeichnet: Die Gerichte ziehen neue Beurteilungsparameter heran und wenden sich vom Cercle Bruit ab. Die Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute täte gut daran, ihre Vollzugshilfe endlich so zu revidieren, dass sie als realistische Grundlage herangezogen werden kann.

Die Bausektion der Stadt Zürich bewilligte einem Restaurantbetreiber in Wipkingen 44 Aussensitzplätze auf privatem Grund. Die Öffnungszeiten für den Aussenbetrieb wurden auf 7 bis 22 Uhr (Sonntag bis Donnerstag) resp. bis 23 Uhr (Freitag und Samstag) beschränkt. Ein Nachbar stellte beim kantonalen Baurekursgericht den Antrag, der Betrieb der Terrassenwirtschaft sei bereits ab 19 Uhr zu untersagen.

Der Rekurrent argumentierte, die massgeblichen Richtwerte der von der Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute herausgegebenen Vollzugshilfe zur Ermittlung und Beurteilung der Lärmbelastung im Zusammenhang mit dem Betrieb öffentlicher Lokale ("Vollzugshilfe Cercle Bruit") würden massiv überschritten.

Die Vorinstanz machte geltend, diese in Überarbeitung befindliche Vollzugshilfe weise Ungereimtheiten auf und die von ihr vorgeschlagenen Richtwerte seien derart streng, dass bei einem ausschliesslichen Abstellen auf sie in innerstädtischen Gebieten kaum mehr Terrassenwirtschaften bewilligt werden könnten. Gemäss langjähriger Vollzugspraxis seien die Emissionen einer Aussenwirtschaft in einer der Lärmempfindlichkeitsstufe III zugewiesenen Quartiererhaltungszone mit einem Wohnanteil von 75% bis 22 resp. 23 Uhr zumutbar.

Generelles Verbot von Aussengastwirtschaften?

Die Problematik der Richtwerte des Cercle Bruit bei der Bewilligung von Aussenwirtschaften in städtischen Gebieten war dem Baurekursgericht bereits aus zahlreichen Verfahren bekannt. Es verwies auf den Umstand, dass trotz eines seit über 25 Jahren bestehenden gesetzgeberischen Auftrages an den Bundesrat in der LSV bis heute keine verbindlichen Belastungsgrenzwerte für den Betrieb von Aussengastwirtschaften festgesetzt worden sind. Das führe zu Rechtsunsicherheiten und gelte allgemein als unbefriedigend.

Den Richtwerten des Cercle Bruit könne keinesfalls dieselbe Bedeutung wie den Belastungsgrenzwerten in einer der ausdrücklich geregelten Kategorien im Anhang der Lärmschutzverordnung, beispielsweise für Strassenlärm, zukommen. Nach Meinung des Gerichts wäre dies in rechtstaatlicher Hinsicht höchst problematisch, da es die ersatzweise Rechtsetzung durch einen privaten Verein bedeuten würde.

Eine festgestellte Überschreitung der Richtwerte habe nicht zwingend zu einer Bauverweigerung zu führen. Eine Lärmprognose nach Massgabe der Vollzugshilfe Cercle Bruit könne zwar als Entscheidungshilfe dienen, letztlich aber seien alle relevanten Umstände zu berücksichtigen.

"Die Richtwerte gemäss Tabelle 2 der Vollzugshilfe Cercle Bruit sind ausserordentlich streng", schreibt das Baurekursgericht in seinem Entscheid. Überdies seien sie ausdrücklich nicht für die Beurteilung der Lärmquelle "Kundenverhalten und Bedienung auf der Terrasse" entwickelt worden, sondern für nach aussen dringende Musik aus dem Innern eines Lokals. Der Charakter der Schallquellen sei dabei kaum vergleichbar.

Eine strikte Anwendung dieser unpassenden Richtwerte würde dazu führen, dass zumindest in städtischen Gebieten praktisch keine Aussenwirtschaften mehr bewilligt und betrieben werden könnten. "Der Sinn des Umweltschutzrechts kann aber nicht in einem generellen Verbot von Aussengastwirtschaften bestehen", so das Gericht.

Ein Blick in die Rechtsprechung anderer Kantone zeigt ebenfalls Probleme mit der Anwendung der Vollzugshilfe Cercle Bruit. So hat das Verwaltungsgericht Solothurn in einem ausführlich begründeten Entscheid die Richtlinien detailliert mit anderen fachmännischen Vollzugshilfen verglichen, unter anderem die vom Landesamt für Umweltschutz in München herausgegebene Schrift "Geräusche aus Biergärten" und der Vorarlbergische Leitfaden zur individuellen Beurteilung von Schallimmissionen aus Anlagen.

Dabei wurde festgestellt, dass die Vollzugshilfe des Cercle Bruit in Wohnvierteln Richtwerte definiert, welche im Vorarlberg für ein Kurgebiet gälten. Wende man diese Richtwerte an, so das Solothurner Verwaltungsgericht, sei wohl jede grössere Gartenwirtschaft in der Schweiz um 19 Uhr zu schliessen.

Der von der Vollzugshilfe für den Zeitraum von 19 bis 22 Uhr definierte Richtwert von 40 dB(A) entspricht einer am Immissionsort noch wahrnehmbaren Lautstärke des Flüsterns. Ein "normales" Gespräch liegt bei etwa 65 bis 70 dB(A). Einen derart strengen Richtwert hielt das Zürcher Baurekursgericht "in einem normalen städtischen Wohngebiet schlechterdings welt- und lebensfremd". Mit der Festlegung einer Empfindlichkeitsstufe III wurde in Wipkingen immerhin ein Störpotential erlaubt, das von Bundesrechts wegen für Mischzonen vorgesehen ist.

Kein Vergnügungsviertel, aber auch nicht blosse Schlafstadt

Die Richter sprachen Klartext: "Wäre es tatsächlich das Ziel des Lärmschutzrechts, dass an warmen Sommerabenden im Umfeld von Gartenwirtschaften... bereits ab 19 Uhr nur noch die Wahrnehmung von maximal Flüsterlautstärke als zumutbar gelten soll, bedürfte dies klarerweise einer im demokratischen Entscheidungsprozess zustande gekommenen und daher sämtliche... Aspekte berücksichtigenden gesetzlichen Grundlage."

Das Baurekursgericht entschied deshalb unmissverständlich, dass eine Schliessungszeit um 22 Uhr unter der Woche und am Freitag und Samstag um 23 Uhr der Nachbarschaft "ohne weiteres zumutbar" ist. Zwar sei das Quartier unbestrittenermassen kein Vergnügungsviertel, andererseits habe es aber auch nicht etwa den Charakter einer blossen Schlafstadt.

Das Urteil des Baurekursgerichts Zürich ist eine Absage an den Cercle Bruit. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass mit verschiedenen neuen Berechnungsmethoden gerechnet wird, die jedoch allesamt nicht endgültig verbindlich sind. Eine punktgenaue Berechnung muss stets mit den reellen Gegebenheiten abgeglichen werden: Wenn wie im vorliegenden Fall z.B. noch eine Häuserfront abschirmend wirkt, muss dieser "entlastende" Umstand ausserdem zusätzlich Berücksichtigung finden.

Die alternative Beurteilung, wie sie vom Zürcher Gericht vorgenommen worden ist, bestätigt auch, dass auf der Linie des Bundesgerichts der Umgebungslärm einen wesentlichen Beurteilungsmassstab bilden muss – zwar nicht als ausschlaggebendes Kriterium, aber doch immerhin.

Man kann das Urteil auf Basis der Zahlen ganz einfach wie folgt lesen: Der Grenzwert von 40dB gemäss Cercle Bruit ist zu scharf; 50dB sind bei mit Umgebungslärm versehenen Immissionsorten noch immer "ohne weiteres zumutbar". Zu bedenken ist, dass 10dB Differenz ein massiver Unterschied bedeutet. Der Cercle Bruit steht mit seinen aktuell noch immer vorgesehenen Grenzwerten also völlig neben der Realität der Gerichte. Diese Tatsache muss auch in Basel Berücksichtigung finden.


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