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24.10.2010

Das Rauchverbot im Tessin schadet nicht – wirklich?

Fragwürdige Interpretationen von Steuerstatistiken

"Rauchverbot im Tessin schadet nicht", "Tessiner Cafés sind rauchfrei rentabler" – so und ähnlich lauteten die Schlagzeilen zu einer Studie der Universität der italienischen Schweiz. Schauen wir uns die Sache einmal etwas genauer an.

Die Tessiner Restaurants hätten durch die Einführung des Rauchverbotes im Jahr 2007 keine Einbussen erlitten, behauptet die Studie "Einfluss des Rauchverbots auf die Gastronomieumsätze im Tessin" von Peter J. Schulz und Uwe Hartung. Die Medien übernahmen diese "Erfolgsmeldung" einmal mehr gerne und völlig unkritisch.

Restaurants kommen glimpflich davon

Ja, die Teilbranche "Restaurants" (mehr dazu später) hat 2007 im Tessin tatsächlich eine Umsatzverbesserung von 3.7 Prozent verzeichnet, während dieser Wert in der übrigen Schweiz nur bei 2.7 Prozent lag. Nur belegt das noch lange nicht, dass die Gastronomie (oder ein Teil davon) nicht unter dem Rauchverbot leidet!

Die Tessiner Restaurants haben nämlich 2008 nur um 1.0 Prozent zugelegt, während es in der übrigen Schweiz 3.2 Prozent waren. Die Betriebe in der Südschweiz hinkten also im ersten vollen Jahr des Rauchverbots der nationalen Entwicklung hinterher.

Ausgeblendet wird in den Medienberichten zudem, dass die Umsätze im Tessin bereits 2006 um 1.7 Prozent sanken, während sie in der übrigen Schweiz um 4.7 Prozent zulegten. Das Tessiner Gastgewerbe hatte also 2007 einen erheblichen Aufholbedarf.

Prozentzahlen sind Augenwischerei

Prozentuale Veränderungen haben sowieso eine geringe Aussagekraft. Relevanter ist die mittel- bis langfristige Entwicklung. Die Umsätze müssen also über einen Zeitraum von mehreren Jahren indexiert werden. Das tun die Autoren auch – aber nur in der Studie und nicht in ihrem Mediencommuniqué. Wer die Grafiken in der Studie betrachtet, wird zugeben müssen, dass "kein Schaden" bestimmt anders aussieht.

Die Studie analysiert Statistiken der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die steuerpflichtige Umsätze branchen- und kantonsweise ausweisen und auf den tatsächlichen Meldungen der Steuerpflichtigen beruhen. Ausgewertet wurden die vier Jahre 2005 bis 2008. Verglichen wird die Entwicklung der Gastbetriebe im Tessin mit denjenigen in der übrigen Schweiz, dort allerdings nicht kantonsweise.

Das Rauchverbot im Tessin trat am 12. April 2007 in Kraft. In den als schwierig geltenden Wintermonaten Januar bis März konnte sich also noch gar kein Effekt des Verbots zeigen. Die Untersuchungsanlage ignoriert zudem, dass in Graubünden und in St. Gallen 2008 kantonale Rauchverbote in Kraft traten. "Die dadurch bedingten kleineren Unschärfen werden in Kauf genommen", räumen die Forscher ein.

Schlussfolgerungen "mit Vorbehalt"

Die Autoren (aber nicht die Medien) gehen korrekterweise auf zahlreiche Schwachpunkte der Studie ein. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere Einflüsse, die kantonsspezifisch sind..., ursächlich sind für Unterschiede", heisst es in der Einleitung.

Branchenumsätze unterlägen vielfältigen Einflüssen, die im einzelnen in der Umsatzstatistik nicht zu trennen seien. Als Beispiele werden die Konjunktur, das Wetter und Grossereignisse genannt. Hinzufügen könnte man, dass die Bevölkerung sich ebenfalls von Kanton zu Kanton unterschiedlich entwickelt. Auch gibt es bei der Teuerung regionale Unterschiede. Und gerade im Tessin sind die saisonalen Schwankungen enorm – und oft völlig anders als in der übrigen Schweiz.

Alle Schlussfolgerungen seien mit Vorbehalten zu betrachten, schreiben Schulz und Hartung: "Sollten die Vergleiche... tatsächlich Umsatzeinbussen für die Tessiner Gastronomie... zeigen, so ist damit nicht endgültig bewiesen, dass diese... auch wirklich durch das Verbot verursacht worden sind. ... Ergäben sich umgekehrt keine Umsatzeinbussen..., so wäre damit auch nicht bewiesen, dass die Einführung des Rauchverbots keine ökonomischen Schäden angerichtet hätte."

Für die Betrachtung der Umsatzentwicklung greifen die Forscher auf die Möglichkeit zurück, die steuerbaren Umsätze in Jahresschrittten, halbjahresweise und quartalsweise zu untersuchen. Weil die Jahreszahlen als einzige systematisch kontrolliert und konsolidiert werden, haben nur diese eine wirkliche Aussagekraft.

Nicht berücksichtigt ist – und davon steht nichts in der Studie – dass ein Teil der Tessiner Gastronomieumsätze eventuell gar nicht versteuert wird. Gehen die Umsätze zurück, so haben die Inhaber weniger Spielraum, Einnahmen am Fiskus vorbei zu schmuggeln. Läuft es hingegen hervorragend, so ist es einfacher, Schwarzgeld einzunehmen, ohne rote Zahlen auszuweisen. Aber natürlich wären alle Angaben zur Höhe solcher "verloren gegangener Einnahmen" reine Spekulation.

Bars und Diskotheken leiden stark

Wirklich interessant wird die Studie dort, wo die Zahlen nach Teilbranchen aufgeteilt werden. Die Steuerverwaltung unterscheidet die vier Gruppen "Restaurants, Cafés, Snack-Bars, Tea-Rooms", "Restaurants mit Beherbergungsmöglichkeit", "Bars" und "Diskotheken, Tanzlokale, Night-Clubs". Die ersten beiden Gruppen werden in der Studie zu "Restaurants" zusammen gefasst.

Über den Sinn dieser Zusammenlegung kann man streiten, weil Restaurants in Hotels in der Regel weniger vom Rauchverbot betroffen sind als beispielsweise Cafés oder Quartierrestaurants. Andererseits ist die Aufteilung der Steuerverwaltung so oder so unglücklich. Die Restaurant-Zahlen enthalten nämlich neben Gastwirtschaften mit hohem Stammgäste-Anteil auch reine Speiserestaurants und Schnellverpflegungslokale, die vom Rauchverbot sicher weniger oder gar nicht betroffen sind.

Tatsache ist, dass die zwei Untergruppen, die in der Studie als "Restaurants" bezeichnet werden, schweizweit 93% und im Tessin rund 87% der gesamten Branchenumsätze erzielen. Angesichts dieser Verteilung entsprechen die Befunde für die Gesamtbranche also stets mehr oder weniger den Befunden für Restaurants.

Die Autoren halten die "getränkeorientierte Gastronomie, also Bars, für die Betrachtung interessanter", um dann gleich anzufügen, dass die Umsatzentwicklung in diesem Bereich 2007 deutlich auseinander klaffte: "Starke Zuwächse in der übrigen Schweiz und deutliche Rückgänge im Tessin, gefolgt von einer leichten Erholung 2008."

Das darf natürlich nicht sein. Schulz und Hartung bemühen sich denn auch sofort, zu relativieren. Das Rauchverbot sei "keineswegs das einzige oder auch nur das entscheidende Problem für die Umsätze in Tessiner Bars". Man müsse den Rückgang im Jahr der Einführung des Rauchverbots als Resultate "sowohl des Rauchverbots wie auch anderer, bereits früher wirksamer Kräfte" ansehen.

Letztlich bleibt aber auch den Fachleuten der "Gesundheitskommunikation" nichts anderes übrig, als eizugestehen: "Ungünstige Wirkungen des Rauchverbots auf den Umsatz von Bars können... nicht ausgeschlossen werden; vielmehr sprechen die Daten für solche Wirkungen."

Bei den Diskotheken sprechen die Zahlen der Steuerverwaltung eine noch deutlichere Sprache. Hier verzeichneten die Betriebe im Tessin 2007, im Jahr der Verbotseinführung, extreme Einbussen von 22.6 Prozent und 2008 eine leichte Erholung. Die Entwicklung in der übrigen Schweiz zeigt 2007 lediglich eine geringfügige Verschlechterung von 0.5 Prozent, 2008 dann einen Rückgang von 4.4 Prozent.

2008 lagen die Umsätze der Diskotheken in der übrigen Schweiz 4.8 Prozent tiefer als zwei Jahre zuvor, im Tessin 17.2 Prozent! Angesichts dieser dramatischen Entwicklung, tönt die Schlussfolgerung der Autoren übervorsichtig: "Für Diskotheken und Nachtlokale können wir die umsatzschädigenden Wirkungen des Rauchverbots... nicht ausschliessen. Die Befunde... sprechen eher für solche Wirkungen."

Finanziert vom Bundesamt für Gesundheit

Das "Institute of Health and Communication" der Università della Svizzera Italiana (USI), das die Studie durchgeführt hat, benutzt nach eigenen Angaben die Kommunikationswissenschaften, um die Gesundheit von Individuen zu erhalten und zu verbessern, zudem für Programme, die die Gesundheit, Wellness und Gesundheitspolitik fördern sollen.

The Institute of Communication and Health uses the domain of communication sciences for theoric and applied research aimed at maintaining and improving individual health and for corporate and social programs promoting health, wellness and health policy. The institute grounds its research on an interdisciplinary integration of humanistic traditions and social sciences which bases the excellence of its conceptual and empirical studies in the field of health.

Die "Gesundheitskommunikation" sei ein relativ neues und interdisziplinäres Forschungsfeld und diene dazu, Entscheidung von Individuen und Gemeinschaften zu beeinflussen, um die Gesundheit zu verbessern, heisst es auf der Website des Instituts.

Health communication is a relatively new and interdisciplinary research field including the study and application of communication to inform and influence decisions of individuals and communities in order to improve health. Nowadays indeed it seems more and more important to understand how to maximize progress on people´s health by using an optimal communication.

Die Autoren bemühen sich im Detailtext der Studie um Korrektheit. Bei den Folgerungen, den Interpretationen und in der Medienmitteilung wird aber der politische Standpunkt des Auftraggebers deutlich. Finanziert wurde die Studie vom Tabakpräventionsfonds des Bundesamts für Gesundheit.

Peter J. Schulz & Uwe Hartung
Einfluss des Rauchverbots auf die Gastronomieumsätze im Tessin
Evidenz aus der Umsatzsteuer-Statistik der eidgenössischen Steuerverwaltung
Università della Svizzera Italiana, Institute of Communication and Health
Oktober 2010

Grafiken der Studie: "Kein Schaden" sieht anders aus.


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