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10.10.2019

«Ich muss nicht jedermanns Liebling sein»

Grosses Interview mit Tanja Grandits

Gault-Millau kürt Tanja Grandits zum Koch des Jahres 2020 und verleiht ihr den 19. Punkt. Damit steigt die Schwäbin, die im Stucki in Basel kocht, in die höchste Liga auf. Das grosse Interview über Kritik, Konkurrenz und – natürlich – Kochen.

Zum zweiten Mal «Koch des Jahres»: Das haben vor Ihnen nur Andreas Caminada und Peter Knogl geschafft. Stolz?

Tanja Grandits: Stolz wäre das falsche Wort. Ich bin einfach sehr glücklich und dankbar. Klar spricht man von einer Person, die «Koch des Jahres» ist. Aber was hier drin passiert, das ist Teamwork. Ich habe ein grossartiges Team, alle haben einen Namen und ein Gesicht. Und diese aussergewöhnlichen Leistungen kann der Betrieb nur hervorbringen, weil ich hier eingebettet bin in ein Team mit wunderbaren Leuten.

Was bedeutet Ihnen der 19. Punkt? Freude, Glück, Dankbarkeit. Haben Sie sich die 19 Punkte als Ziel gesetzt?

Nein, nie. Mein Küchenchef Marco Böhler und Julien Duvernay, mein genialer Pâtissier, hatten dieses Ziel. Und das finde ich auch gut. Das darf man ruhig haben, wenn man so talentiert ist.

Worüber freuen Sie sich mehr: über den Titel als Koch des Jahres oder über den 19. Punkt?

Auf lange Sicht hinaus ist der 19. Punkt wertvoller. 19 Punkte haben nur sehr wenige Köche, das ist schon sehr toll. Das spornt mich dazu an, noch mehr Gas zu geben und mich noch stärker auf die Arbeit hier im Restaurant Stucki und nicht zu sehr auf Caterings und Events zu konzentrieren.

Und was bedeutet Ihnen der Titel Koch des Jahres?

Ich freue mich riesig. Als ich davon erfuhr, dachte ich mir zuerst: «Hmm, ich war doch schon mal Koch des Jahres. Den Titel hätten doch auch andere Köche verdient.» Aber eben: Ich finde den Titel toll. Er kommt zu einem schönen Zeitpunkt. Ich habe das Gefühl, wir sind zurzeit am Höhepunkt. Wir haben uns im vergangenen Jahr nochmals entwickelt, das eine oder andere geändert.

Zum Beispiel?

Wir haben von manchem losgelassen. So waren wir lange sehr auf die Farben fokussiert. Daraus entwickelte sich nun eine Selbstverständlichkeit. Die Farben bleiben ein Teil von uns, sind aber nicht mehr das Gesprächsthema. Ich spüre eine Sicherheit in dem, was wir tun. Das merken die Küche, der Service und der Gast.

Dass Sie den Titel nun zum zweiten Mal gewinnen, während andere wieder leer ausgehen, sorgt auch für Kritik.

Dessen bin ich mir bewusst, es ist mir aber egal. Ich habe einen Job gewählt, den jeder täglich bewerten kann: Was tut sie wieder? Macht sie wieder falsch? Aber die Kritik kommt von den Leuten aus der hintersten Reihe. Von jenen, die im Leben nichts Aufregendes machen. Und wenn dann die Köchin in der grossen Arena einen kleinen Fehler begeht, nutzen sie ihre Chance. Anonym, im Internet, richtig scharf. Damit kann ich gut leben. Ich muss nicht jedermanns Liebling sein.

Erhöhen Sie nun Ihre Preise?

Nein, wir haben den Preis vor dem letzten Menü um 20 Franken angehoben. Jetzt kosten die zwölf Gänge 260 Franken. Wir waren zu günstig. Es gab nach der Erhöhung auch keine einzige Reklamation. Wir bieten aber neu von Dienstag bis Donnerstag einen Dreigänger für 60 Franken für Leute unter 25 Jahren an. Im Preis inbegriffen sind zwei Getränke, Wein oder selbst hergestellte Softdrinks.

Das kommt super an und macht auch uns Spass. Da kommen 16-Jährige, die sich für den speziellen Abend hübsch machen und geniessen es bei uns. Ich bin sicher, sie werden auch künftig unsere Gäste sein. Zudem tun die jungen Leute dem Spirit des Hauses gut.

Mit Peter Knogl im Cheval Blanc und Ihnen hat Basel nun als einzige Schweizer Stadt zwei 19-Punkte-Restaurants. Sehen Sie Knogl als Konkurrenten an?

Nein, seine Gäste sind auch meine Gäste. Gleichzeitig sind die beiden Betriebe sehr unterschiedlich. Es gibt keine Konkurrenz.

Wie feiern Sie den Erfolg?

Wir haben heimlich vorgefeiert, da wir ziemlich verplant sind und gerade Betriebsferien hatten. Wir waren alle zusammen im Restaurant Eckert in Grenzach, gleich an der deutschen Grenze. Da kocht Nicolai Wiedmer, der früher bei uns arbeitete.

Viele Ihrer Mitarbeiter sind langjährige Wegbegleiter. Das gibt es in der Branche nicht oft. Wieso klappt das bei Ihnen?

Ja, das ist mein grosses Glück. Das Thema Fachkräftemangel geht völlig an mir vorbei. Ich gebe meinen Mitarbeitern hier eine Plattform. Ich höre zu, lasse sie reden, lasse sie machen. So kriegt jeder die verdiente Wertschätzung. Und ich nehme mich selbst nicht zu wichtig, zeige auch Schwächen. Meinen Mitarbeitern ist wohl hier, sie kriegen hier viele Freiheiten, um sich weiterentwickeln.

Eine tragende Figur ist Ihr Küchenchef Marco Böhler. Ein stiller Arbeiter auf höchstem Niveau. Wie können Sie ihn halten?

Zwischen Marco und mir herrscht eine ganz besondere Verbindung. Ich kann mich zu hundert Prozent auf ihn verlassen. Ich weiss, dass er mich unglaublich schätzt. Wir ergänzen uns perfekt. Er macht alles gern und gut, das ich nicht tun will.

Was zum Beispiel?

Das Administrative, alles mit Zahlen. Ich hasse es, zu telefonieren, mit Lieferanten, mit Partnern und so weiter. Was Marco mir hier abnimmt, geht weit über das Küchentechnische heraus. Wenn wir in den Ferien renovieren, ruft er den Maler an und macht mit ihm Termine aus. Viele in der Szene kennen Marco als grossartigen Koch. Was ihn noch mehr ausmacht, ist sein aussergewöhnliches Verantwortungsgefühl. Er handelt, als wäre der Betrieb sein eigener. Und ich habe ihn in elf Jahren nie schlecht gelaunt erlebt.

Wirklich nie?

Nein, Marco ist sehr ausgeglichen und gelassen. Er ist auch nicht einer, der grosse Sprüche klopft. Lieber gibt er Informationen weiter. Er weiss über jedes Lebensmittel im Detail Bescheid. Er ist der wandelnde Pauli, der beste Ausbildner für Lernende. Abends stellt er in der Küche Quizfragen. Da müsste ich mich sehr anstrengen, um alle Fragen beantworten zu können.

Marco leitet Workshops und Kinderkochkurse. Und als meine Tochter Emma zuletzt einen Pferdeanhänger brauchte, recherchierte er im Internet und fuhr mit ihr an einem Samstagnachmittag in die Innerschweiz. Da legte er sich mit einer Taschenlampe unter den Anhänger, handelte einen guten Preis aus und lud den Verkäufer bei der Auslieferung bei uns zum Mittagessen ein. Marco ist ein grossartiger Mensch.

Haben Sie nie Angst, dass er Ihr Restaurant verlässt?

Nein, ich habe vor nichts Angst. Ich habe ein unendliches Grundvertrauen. Ich weiss, dass er eines Tages den elterlichen Betrieb in Deutschland übernehmen wird. Aber ich mache mir darüber keine Gedanken.

Besonders ist auch, dass es in Ihrer Küche ruhiger zu und her geht als anderswo.

Die Leute, die hier arbeiten sind sensibel. Wir haben keine Ellbogenkultur, man unterstützt sich bei der Arbeit. Ganz klar: Das ist nicht jedermanns Sache. Wir hatten auch schon Mitarbeiter, die laut waren. Das passte einfach nicht. Ich will hier niemanden, der lauter ist als ich. Ich mag Aggression nicht. Laut werde ich nie. Wenn mir was nicht passt, werde ich ernst, aber nie laut.

Ich bin eher ein motivierender Cheerleader als ein Chef. Es tut einem Koch nur schon gut, wenn man ihm sagt: «Hey, das Personalessen heute Mittag war so gut, dass ich kaum aufhören konnte zu essen.» Oder ich erzähle Dinge aus meinem Privatleben und höre zu, wenn andere was von sich erzählen. Wir sind eine Familie hier.

Streit gibt es in der besten Familie.

Schauen Sie, es gibt viele Küchen, in denen man sich fast ein wenig freut, wenn es dem Arbeitskollegen nicht läuft. «Wir würden eigentlich gerne den Teller schicken, aber wo sind deine Beilagen?» So was gibt es bei uns nicht. Auch der Schnittpunkt zwischen Küche und Service ist spitze.

Marco Böhler ist der Küchenchef – wie sieht Ihre Arbeit aus?

Meine wichtigste Aufgabe ist das Entwickeln neuer Ideen fürs Restaurant. Die Ausführung liegt dann bei meinem Team. Woher stammt Ihre Inspiration für neue Gerichte? Aus dem Alltag, wie neulich beim Ziegenkäse. Seit ich in Südfrankreich gelebt habe und da vom Bauern immer frischen Ziegenkäse und -quark geholt habe, wollte ich lernen, wie man diese Produkte selbst herstellt.

Nun steht das Pferd meiner Tochter auf einem Biohof in der Nähe und der Bauer besitzt viele Ziegen. Zuletzt erzählte er mir, er hätte zu viel Ziegenmilch. Seither holen wir da jede Woche 60 Liter Milch und machen aus ihr Käse, Quark und Joghurt. Um uns das Handwerk beizubringen, kam Floh von der Sennerei Andeer drei Tage zu uns.

In welchem Gericht verwerten Sie die Milchprodukte?

Zum Beispiel in den Ziegenquark-Randen-Gnocchi und im Kalbstatar. Mein Souschef Fabian Wehrli hat aus der Molke, die bei der Quarkproduktion entsteht, eine Vinaigrette fürs Tatar gemacht. Herrlich!

Sie kommen also mit der Idee und Ihre Köche kreieren daraus ein Gericht?

Ich komme nicht mit einem fertigen Rezept zu meinen Mitarbeitern und sage: «Macht das genau so.» Eher sitzen wir zusammen, und ich erkläre dann, welche Produkte ich mir in welcher Kombination vorstelle. Dann beginnt es zum Beispiel bei Fabian zu sprudeln, und tags darauf kann ich mir das Gericht auf dem Teller ansehen und es probieren. Meistens staune ich dann, weil es derart lecker ist. Korrigieren muss ich nur selten.

Neue Teller zu suchen, neue Präsentationsideen zu entwickeln – damit befasse ich mich auch. Oder ich mache mit meiner Assistentin neue Menükarten und bringe neue Blumenvasen. Es sind viele Dinge, die mit Schönheit und unserem Werk zu tun haben. Ich kann auch mal ein Tag abwesend sein, aber das Team freut sich sehr, wenn ich wieder hier bin. Vielleicht bin ich auch ein bisschen ihr Mami.

Die Gäste sind wohl auch enttäuscht, wenn sie Sie nicht sehen.

Zuletzt sagte mir ein Gast: «Bei meinem letzten Besuch im Restaurant waren Sie nicht hier. Heute war das Essen viel besser.» Das ist natürlich Quatsch. Ich koche ihr Essen nicht. Ich komme mit dem Amuse Bouche an den Tisch, aber das macht das Essen nicht besser. Aber selbstverständlich verstehe ich, dass unsere Gäste mich sehen möchten.

Ich bin meistens hier. Viele Spitzenköche sind fast mehr auf Reisen, kochen auswärts oder halten Vorträge. Das mache ich heute viel weniger als früher. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich wählerisch sein darf. Wenn mir etwas gefällt, tue ich es.

Sie sind eine von nur sehr wenigen Spitzenköchinnen. Damit sind Sie im Zuge der Feminismus-Bewegung eine Inspiration für viele Frauen.

Ich habe mich nie als solche gesehen, aber mit der wieder erstarkten Bewegung hat sich das verändert. Ich habe immer gekocht, auch als Emma klein war. Hilal, meine Assistentin, war ihr Babysitter. Emma sass auch oft im Kindersitz in der Küche. Glücklicherweise arbeite ich im selben Haus, in dem ich wohne.

Köchin mit Baby – das ging wohl nur, weil Sie damals schon die Chefin waren.

Ja, ansonsten ist es sehr schwierig. Ich hatte zuletzt gerade eine Köchin bei uns, die aufgehört hat, weil sie Mutter wurde. Teilzeitarbeit ist kaum möglich. Eine Mitarbeiterin, die bei uns im Service arbeitet, wurde allerdings vor kurzem auch Mutter. Sie arbeitet nun Teilzeit, da ich sie unbedingt halten wollte.

Ihr Rat an junge, ambitionierte Köche?

Sei dich selbst, zieh dein eigenes Ding durch. Sei mutig, gehe einen Schritt weiter. Und lobe deine Mitarbeiter, kritisiere nicht zu oft. Ermutigen bringt mehr.

Tanja Grandits (49) absolvierte ihre Kochlehre in der Traube Tonbach in Baiersbronn. Nach Stationen in London und Südfrankreich zog es die Schwäbin 2001 nach Eschikon TG. Seit 2008 ist sie Chefin im Stucki in Basel, das nach dem früheren Chef Hans Stucki benannt ist. In Grandits’ Küche arbeiten 14 Mitarbeiter und 10 im Service für bis zu 60 Gäste. Im Stucki wird sie bis zu ihrem Karrierenende bleiben.

Benny Epstein / GastroJournal

Tanja Grandits: «Stolz wäre das falsche Wort. Ich bin einfach sehr glücklich und dankbar.» Bild: Lucia Hunziker


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