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04.07.2016

Gutbürgerlich ist tot – es lebe gutbürgerlich

Gäste wollen Hausgemachtes

Sich immer wieder neu auf die Bedürfnisse der Gäste einzustellen, ist eine Herausforderung für die Gastgeber. Aktuell suchen viele Gäste nach Althergebrachtem.

Die schweizerische und die gutbürgerliche Küche sind hierzulande am meisten gefragt. Dies manifestiert sich, wenn man durch die ländliche Schweiz fährt und sich die Menükarten der Restaurants zu Gemüte führt. Die Gastgeber bieten Schnitzel und Pommes Frites, Cordon bleu und andere klassische Gerichte an. Doch wenn vom Restaurant¬sterben die Rede ist, raten Fachleute zu mehr Vielfalt und monieren: "Mit Schnitzel und Pommes auf der Karte ist es eben nicht getan." Ja was nun, Schnitzel ja oder Schnitzel nein?

"Die Gäste von heute wollen sowohl als auch", weiss Daniel Jung, stellvertretender Direktor bei GastroSuisse. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Gästebedürfnisse. In seinem Buch "Strategie Orange" hat er 2007 die Individualisierung der Gäste thematisiert. Vor allem in der Stadt sei das Angebot fast unerschöpflich: Aus jeder Kultur, für jeden Geschmack und alle Bedürfnisse erhalten die Gäste zu jeder Tageszeit, was sie gelüstet.

Und doch kehren die Gäste immer wieder gerne zu den Wurzeln zurück. "Und das nicht nur im übertragenen Sinn. Ich denke da an das sogenannte 'Urban Gardening', bei dem die Leute mitten in der Stadt Gärten anlegen und Gemüse anbauen", nennt Jung ein Beispiel. Die Gesellschaft sei so sehr im Umbruch, dass die Menschen vermehrt nach dem Gefühl von Heimat sehnen.

Das Land- und das Stadtleben schliessen einander nicht aus, ist Jung überzeugt. Im Gegenteil: Das Landleben sei wieder sehr gefragt, das zeigten beispielsweise Zeitschriften wie "Landliebe" oder "Landleben", deren Auflagen ansehnliche Werte erreichen. "Die Gäste wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen und wie die Gerichte hergestellt werden."

Für die Gastronomen liegt viel Potenzial im Bedürfnis nach Regionalität, Selbergemachtem und Ursprünglichem. "Dieses Bedürfnis manifestiert sich auch in den Lebensmittelgeschäften: 'Aus der Region', 'Guets vo hie' erleben einen regelrechten Boom", sagt Jung.

Die Rückkehr zu der ursprünglichen Küche zelebriert beispielsweise das Tessin mit dem Projekt "Fatto in Casa". Die Restaurants in der Südschweiz wollen das Regionale und das Selbergemachte fördern. "Wir haben das Bedürfnis, eine gewisse Art von Restaurants zu unterstützen", sagt Massimo Suter, Präsident von GastroTicino. Und zwar jene, die Wert darauf legen, ihre Produkte selber herzustellen und dabei regionale Spezialitäten verwenden.

Die Gastronomen und Produzenten im Tessin fördern die regionalen Spezialitäten laut Suter schon lange. "Um dieses Bestreben zu unterstützen, haben sie das Projekt 'Ticino a Tavola' ins Leben gerufen, bei welchem Restaurants mindestens ein Gericht ausschliesslich mit Tessiner Spezialitäten anbieten müssen." Unterstützt wird dieses Projekt im Rahmen der neuen Regionalpolitik vom Bund und dem Kanton Tessin, dies über sein Kompetenzzentrum für Agrar- und Nahrungsmittel (CCA).

"Fatto in Casa" diene dazu, die gutbürgerliche Küche wieder mehr ins Bewusstsein der Gäste zu bringen. "Gutbürgerlich heisst, dass ein Gericht nicht immer genau gleich schmeckt, weil es eben hausgemacht ist. Die Gäste sollen Aromen aus früheren Zeiten wieder neu entdecken", bringt es Suter auf den Punkt. Ein wichtiger Gedanke bei diesen Projekten sei es auch, dass die Gäste die Restaurants wieder öfters besuchen, da die Gastronomie im Tessin im Moment einen schweren Stand habe.

Das Bedürfnis nach gutbürgerlicher Küche wird auch in anderen Kantonen befriedigt: Mitglieder von GastroSchwyz beispielsweise wollen ihren Gästen mit "Ächt Schwyz" die ursprüngliche Küche ihres Kantons wieder näher bringen. Im Zentrum des Angebotes stehen typische Schwyzer Gerichte, dazu gehören sowohl traditionelle Rezepte als auch moderne Küchen mit neuen Ideen.

Auch im Wallis profitieren Gastronomiebetriebe vom Verkauf von regionalen Spezialitäten: "Das Label 'Walliser Köstlichkeiten' ist sowohl für den Gastrobetrieb wie auch für die lokalen Produzenten ein Gewinn", erklärt Nicolas Crettenand, Leiter Landwirtschaft bei Valais/Wallis Promotion. Die Aktion wird dem Anspruch der Gäste gerecht, die traditionelle Speisen aus lokalen und qualitativen Produkten geniessen möchten. 59 Restaurants im Wallis haben sich bereits dem Label "Walliser Köstlichkeiten" angeschlossen.

Gutbürgerliche Küche hat also nichts mit einem verstaubtem Konzept zu tun. Sie widerspiegelt das Regionale, das Selbergemachte sowie ein Heimatgefühl. "Dazu können auch Schnitzel und Pommes Frites gehören, sind sie doch gefragte Klassiker, die viele Gäste schätzen", resümiert Daniel Jung. Er rät den Gastronomen, dass sie das Gericht nicht lieblos mit einer Flasche Ketchup servieren, sondern dieses selber herstellen und ansprechend präsentieren.

"Die Leute mögen die klassische Küche, wichtig ist einzig, dass sie authentisch ist." Dabei müssten auch die Atmosphäre, die Speisekarte, der Service oder die Website stimmig sein. "Wenn das Bedürfnis nach Heimat befriedigt ist, fühlen sich die Gäste wohl und besuchen das Restaurant wieder."

Daniela Oegerli / GastroJournal


Gastronomische Tendenzen in den kommenden Jahren

Die Gastronomen sind nicht nur wirtschaftlich gefordert, ihre Aufgabe ist es auch, die Bedürfnisse ihrer Gäste immer wieder von neuem zu erkennen. "Heute möchten sie Bratwurst, morgen Fusion-Küche", gibt Daniel Jung, stellvertretender Direktor bei GastroSuisse zu bedenken.

Die Gastronomie und die Hotellerie seien insofern gefordert, als Grenzen immer fliessender werden. "Fast Food und Slow Food schliessen sich gegenseitig nicht mehr aus." Frische, regionale, saisonale und handwerklich einwandfrei verarbeitete Lebensmittel würden im Stehen, Gehen oder Sitzen verzehrt. "Die Gäste möchten sich vermehrt orts- und zeitunabhängig verpflegen", erklärt Jung weiter.

Er geht ausserdem davon aus, dass Vertriebswege via Internet eine immer grösser werdende Bedeutung erlangen: "Die sogenannte 'Uberisierung' der Gastronomie hat bereits begonnen." Ein traditionelles Mehrgangmenü möge in einem klassischen Restaurant bestellt, je nach Gästebedürfnis jedoch auch einmal in privaten Räumen konsumiert werden.

"Um einen Überblick über die Tendenzen der Zukunft zu gewinnen, rate ich den Gastronomen, in Städte wie London, Berlin oder New York zu reisen", sagt Daniel Jung. Viele Strömungen, die sich bei uns noch nicht etabliert hätten, könne man da bereits beobachten.

Die Food-Trendforscherin Hanni Rützler mahnte am 1. Swiss Food Service Forum, dass der Stillstand das Ende der Gastronomie sei: "Wir müssen uns von der Komfortzone verabschieden und Veränderungen akzeptieren." Sie ist davon überzeugt, dass die Gäste Geschichten hinter den Produkten suchen. "Erzählen Sie Ihren Gästen, woher Sie die Lebensmittel beziehen und wie Sie die Gerichte zubereiten", riet sie. Die Gäste möchten das Ursprüngliche, die Lebensmittel aus der Region, zu der sie eine Beziehung haben.

Ausserdem erklärte sie, dass die Menschen wieder vermehrt nach Netzwerken, der Gemeinschaft und dem Teilen suchen. Das heisst: nach dem gemeinsamen Essen in geselliger Runde. doe


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